Long Covid kann eine sehr einschränkende Erkrankung im Alltag sein - doch wie lebt es sich damit? Wir haben im Zuge unserer App-Entwicklung mit einigen Betroffen gesprochen, unter anderem auch mit Vanessa. Wie sie mit Long Covid im Alltag zurechtkam und -weiterhin meistert, erfahrt ihr hier!
Unsere Interviewpartnerin
Wir haben Vanessa (virtuell) getroffen – sie ist Mitte Zwanzig und leidet seit fast anderthalb Jahren an Long Covid. Mit uns hat sie über ihre Erkrankung gesprochen. Wie lebt es sich mit Long Covid? Was für Einschränkungen und Hürden muss man im Alltag bewältigen? All diesen Fragen gehen wir in diesem Blogpost auf den Grund.Vorab aber erstmal: Wie war Vanessas Ausgangssituation?
COVID-19 hatte sie im November 2020, und 2-3 Monate später fühlte sie sich immer noch nicht gut, sie war dauerhaft müde. Im April 2021 wurde bei ihr dann Long Covid diagnostiziert.
Zur Klarstellung: Zwar spricht man streng genommen vom “Post-Covid-Syndrom”, wenn die Symptome 12 Wochen oder länger bestehen, wir sprechen hier allerdings der Einfachheit halber weiterhin von Long Covid, da es auch umgangssprachlich so gebraucht wird.
Früher war Vanessa Sozialarbeiterin, viel unterwegs, sportlich aktiv, in ihrer Freizeit noch Cheerleading-Trainerin. Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs im Februar 2022 war sie allerdings schon ein Jahr lang arbeitsunfähig. Auch ihre sonstigen Freizeitaktivitäten musste sie erst einmal niederlegen. Ihre Long Covid Symptomatik machte es ihr schwer, weiter im Alltag zu funktionieren.
Symptome
Leider hatte sie zum Zeitpunkt unseres Gesprächs mit einer ganzen Bandbreite an Symptomen zu tun. Eines davon, was Vanessa als „eher dauerhaft“ beschrieb, ist die Fatigue. Fatigue ist eine schwerwiegende Form der chronischen Erschöpfung und tritt häufig bei Long Covid, aber auch anderen Krankheitsbildern auf. „Ich hab‘ das aber nicht so schlimm wie Andere“, sagte sie, „also ich hab zum Beispiel nicht so viele Crashs“.-Stopp mal, ein Crash?
Vielleicht weißt du leider selbst nur zu gut, was damit gemeint ist. Falls du als Nicht-Betroffene:r hier bist, noch einmal kurz zur Erklärung:
Ein Crash ist die umgangssprachliche Bezeichnung für die sogenannte Post-Exertional Malaise, kurz PEM. PEM ist eine Belastungsreaktion, die in etwa 24-72 Stunden nach dem auslösenden Ereignis auftritt und nicht im Verhältnis zur vorangegangenen Aktivität steht. Betroffene müssen dann z.B. nach vermeintlich „einfachen“ Tätigkeiten wie Duschen, Einkaufen etc. zum Teil über Tage im Bett verbringen, bis die Symptome und Erschöpfung besser werden.
Im weiteren Verlauf des Gesprächs kam heraus, dass Vanessa zwar laut eigener Aussage „nicht so schlimm von Crashs betroffen ist wie Andere“, sie die Fatigue aber manchmal auch über 1-2 Tage schon deutlicher beeinträchtigt als sonst. Anfangs hatte sie zudem häufig mit zu hohem Puls zu tun, der ebenfalls nicht im Verhältnis zur körperlichen Aktivität stand. „Das ist aber jetzt schon besser“, sagte sie.
Was ihr allerdings sehr zu schaffen machte, waren sowohl Schlafprobleme als auch Muskel- und Nervenschmerzen, die Vanessa uns als „Schweregefühl in der rechten Körperhälfte“ beschrieb. Außerdem schränkten sie auch kognitive Symptome wie Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen im Alltag ein: „Manchmal bin ich so unstrukturiert“, erklärte sie, „und ab und an habe ich Sprachstörungen, wenn ich gestresst bin.“
Ein ganz schöner Batzen an unschönen Symptomen…
Wie sieht der Alltag mit Long Covid aus?
„Es gibt gute und schlechte Tage“, so Vanessa.Wenn die Fatigue schlimm ist, muss sie viel liegen, nichts tun, nicht denken, sich nicht viel bewegen, sagte sie – am besten über mehrere Stunden. „Generell werden die Symptome schlimmer, wenn viel zu tun ist oder ich überfordert bin“, erklärte sie uns. Was ihr hilft, ist daher: Struktur. Viele Pausen einplanen. Wichtig ist dabei vor allem der Wechsel zwischen Pausen und Aktivität. Zu viel zu liegen tut ihr auch nicht gut. Die Herausforderung dabei ist also, ein gutes Mittelmaß zu finden.
Hier kommt das Stichwort Pacing ins Spiel – Pacing ist eine der nicht-medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten bei Long Covid. Wir gehen an anderer Stelle ausführlicher darauf ein (den entsprechenden Beitrag verlinken wir dir am Ende dieses Blogartikels). Grob gesagt ist mit Pacing gemeint, dass Betroffene lernen, die eigenen körperlichen, kognitiven, sowie emotionalen Belastungsgrenzen zu verstehen und sich innerhalb dieser Grenzen zu bewegen.
Aber nun zu den guten Tagen: Da steht sogar Bewegung auf dem Plan – zum Beispiel in Form von Spaziergängen. „An solchen Tagen geht sogar auch Sport!“, erzählte Vanessa. Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs war sie schon wieder 1x die Woche beim Krafttraining – ein Fortschritt, an den zu Beginn der Erkrankung noch kaum zu denken war.
Außerdem helfen ihr zum Glück auch noch andere Dinge: Progressive Muskelentspannung zeigt bei Vanessa zum Beispiel Wirkung gegen die Fatigue. Ein super Hinweis, da Übungen dazu leicht im Internet zu finden sind und sie ebenfalls zu den nicht-medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten gehören. Außerdem trackt Vanessa im Alltag und beim Sport ihren Puls mithilfe einer Smartwatch: Dies dient dazu, bei Bewegung oder Belastung nicht über einen Puls von 180 zu kommen. „Das hilft mir ganz gut, um stärkerer Erschöpfung vorzubeugen“, sagte sie.
(Achtung: Dies sind Richtwerte, die für Vanessa gut funktionieren, aber nicht automatisch für alle Long Covid Betroffenen!)
Bezüglich ihrer kognitiven Probleme besuchte Vanessa zum Zeitpunkt unseres Gesprächs ein regelmäßiges neuropsychologisches Training. Seit einiger Zeit schläft sie außerdem mit einer Gewichtsdecke, die das Einschlafen erleichtert.
Und noch etwas Positives zum Schluss: Vanessas Umfeld geht weitestgehend gut mit der neuen und veränderten Situation um. Sozialer Rückhalt ist in solch herausfordernden Situationen, in denen die Lebensumstände derart durcheinandergeworfen werden, enorm wichtig!
…Und nun?
Gute Nachrichten - Wir haben Vanessa erneut gefragt, wie es ihr aktuell geht.Sie hat vor kurzer Zeit einen neuen Job angefangen, in dem sie sehr aufgeht. Arbeiten kann sie also wieder! Und auch in ihrer Freizeit scheint sie Stück für Stück wieder die Alte zu werden, wie Mitglieder ihres Cheerleading-Teams berichten. Denn auch dort ist sie wieder als Trainerin aktiv. Das freut einerseits uns sehr und gibt andererseits hoffentlich auch anderen Betroffenen ein wenig Hoffnung!
Danke für deine Offenheit, liebe Vanessa! Schön, dass du deine Erfahrungen mit uns geteilt hast und anderen damit Mut machen kannst.