Von Kribbeln in Händen und Füßen bis hin zu Schmerzen und Gangstörungen. Die Polyneuropathie bringt ein breites Spektrum an Beschwerden mit sich. Doch was genau bedeutet “Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie” (CIPN)?
Die Polyneuropathie ist eine Krankheit bei welcher durch eine systemische Störung Nervenenden, Nervenzellen und/oder die schützende Hülle der Nervenfasern geschädigt sind. Dieser Schaden kann folglich zu Missempfindungen, Schmerzen und funktionalen Beschwerden in Händen und Füßen führen. Eine Polyneuropathie kann zahlreiche Ursachen haben, z.B. Diabetes mellitus, übermäßiger Alkoholkonsum oder Infektionen. Bei der hier beschriebenen spezifischen CIPN handelt es sich um eine Polyneuropathie, die durch eine Krebsmedikation (u.a. Chemotherapie), Strahlentherapie oder durch den Tumor selbst ausgelöst werden kann.
Was sind die Symptome der CIPN?
Jegliche Symptome zeigen sich in der Regel symmetrisch, sowohl links, als auch rechts an Händen und Füßen. Wir können dabei jedoch sensorische und motorische Symptome unterscheiden.
Besonders die sensorischen Symptome sind sehr vielseitig. Patient:innen klagen häufig über:

Diese Beschwerden können den Alltag einschränken und bringen weitere Gefahren mit sich. Durch die Taubheit können feinmotorische Probleme im Alltag auftreten. So kann es zu Schwierigkeiten beim Schreiben bis hin zu Gleichgewichtsstörungen und Stürzen kommen. Außerdem bleiben durch das Taubheitsgefühl oberflächliche Verletzungen oft unbemerkt wodurch das Risiko einer Wundinfektion erhöht ist.
Motorische Auffälligkeiten treten deutlich seltener auf. Sie äußern sich durch abgeschwächte Muskelreflexe, eine verminderte Muskelkraft mit möglicher Einschränkung in der Geh- und Stehfähigkeit, unwillkürliche Muskelzuckungen und Muskelkrämpfe.
Ein weiteres seltenes Phänomen ist eine Einschränkung der Funktion der Hirnnerven mit Sehstörungen oder Hör- und Gleichgwichtsstörungen, letzteres vermehrt durch das Medikament Cisplatin.
Bis zu 76% der Patient:innen berichten über Beschwerden, welche diese Form der Polyneuropathie beinhaltet, auch wenn teilweise nur in geringer Intensität. In der Regel gehen die Beschwerden nach einer unterschiedlich lang anhaltenden Plateau-Phase wieder zurück, dies kann jedoch auch in einigen Fällen bis zu Jahre dauern und die eigentliche Therapiedauer überschreiten. Eine Ausnahme liegt bei den Platin-basierten Therapien vor. Hier spricht man von dem so genannten “Coasting-Phänomen”. Nach der abgeschlossenen Therapie können die Beschwerden über weitere 3-4 Monate ansteigen, bis es zu einer Stagnation oder auch zu einem sofortigen Abklingen kommt.
Risikofaktoren
Die Wahrscheinlichkeit, von dieser Erkrankung betroffen zu sein, ist besonders erhöht bei den folgenden Chemotherapeutika: Platin-Derivate, Taxane, Vinca-Alkaloide, Eribulin, Bortezomib und Thalidomid. Doch es gibt noch weitere Faktoren, die das Auftreten von dieser Art der Polyneuropathie begünstigen. Diese sind:
- Diabetes mellitus
- Niereninsuffizienz
- hoher Alkohlkonsum
- genetische Faktoren (CMT-Genmutation)
- spezifische rheumatische- und Autoimmunerkrankungen (Kollagenosen/Vaskulitiden)
- älter als 75 Jahre
- Vitaminmangel
- Schilddrüsenunterfunktion
- HIV-Infektion
Was können wir gegen Symptome der Polyneuropathie tun?
In der Medizin bemüht man sich zunehmend darum, präventiv zu arbeiten. Das Ziel der Präventivmedizin ist es, dem Auftreten einer Erkrankung schon im Vorhinein entgegen zu wirken.
Aktuell besteht die Empfehlung, mit dem Beginn einer neurotoxischen Therapie regelmäßiges Funktionstraining unter Anleitung durchzuführen. Dieses Funktionstraining beinhaltet verschiedene körperliche Aktivitäten wie Ausdauer-, Kraftsport, Gleichgewichtstraining und Yoga. Mehr Informationen zu dem Thema Bewegung bei Fatigue findest du in diesem Video. Eine medikamentöse Prophylaxe wird derzeit nicht empfohlen.
Sollten erste Symptome sichtbar werden, lohnt sich eine Reevaluation der Therapie. Unter aufmerksamer Nutzen-Risiko-Abwägung können ein Therapiewechsel, eine Dosisanpassung oder auch eine Veränderung der Therapiefrequenz diskutiert werden.
Da die Therapie häufig nicht ausreichend angepasst werden kann, müssen wir auf andere Therapiemaßnahmen zurückgreifen.
Da die Therapie häufig nicht ausreichend angepasst werden kann, müssen wir auf andere Therapiemaßnahmen zurückgreifen.
Einerseits besteht die Möglichkeit einer medikamentösen Therapie. Aktuell besteht keine Zulassung für die Verabreichung eines Medikaments bei der CIPN. Expert:innen sprechen in den Leitlinien jedoch eine mäßige Empfehlung für das Medikament Duloxetin aus, welches die Schmerzen lindern kann. Darüber hinaus können weitere Antidepressiva und Antikonvolusiva bzw. Antiepileptika (z.B. Amitriptylin, Venlafaxin, Gabapentin, Pregabalin), letztere wirken u.a. gegen Muskelkrämpfe, erwogen werden. Außerdem können Opioide und auch spezifische Pflaster und Salben gegen die Schmerzen in Betracht gezogen werden.
Andererseits besteht die Möglichkeit der nicht-medikamentösen Therapie. Hier wird den funktionellen Einschränkungen mit verschiedenen Ansätzen entgegengewirkt. Als förderlich erweisen sich Ergo- und Elektrotherapie. Der Fokus liegt jedoch, wie auch in der Prävention, auf der Sport- und Physiotherapie. Patient:innen werden hier in verschiedenen Bereichen angeleitet, wie z.B.:
- sensomotorisches Training
- Koordinationstraing
- Vibrationstraining
- Feinmotoriktraining
- Ausdauertraining
- Geh- und Stehtraining
- Tai Chi
Diese Therapie kann wirksam die Geschicklichkeit, das Gleichgewicht und die Beweglichkeit fördern. Das Sturzrisiko wird gesenkt und darüber hinaus werden weitere Nebenwirkungen bei Tumorpatient:innen, wie auch die Fatigue verringert.
Des Weiteren können kleine Anpassung im Alltag Erleichterung verschaffen. Festes Schuhwerk oder eine Gehhilfe können einen guten Stand ermöglichen. Eine bewusste Hand- und Fußpflege schützt darüber hinaus vor Verletzungen und Infektionen.
Zusammenfassung
Die Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie ist eine Erkrankung geprägt von Missempfindungen, Schmerzen und funktionalen Beschwerden im alltäglichen Leben. Sie tritt ausgelöst durch die nervenschädigenden Nebenwirkungen der Tumortherapie auf und kann sich zeitlich über die Therapiedauer hinaus erstrecken, ist aber in der Regel rückläufig. Therapeutisch haben wir die Möglichkeit medikamentös Schmerzen und Krämpfe zu lindern. Eine Besserung der Funktion wird erreicht durch Ergo- und Elektrotherapie, vor allem aber durch eine angeleitete Bewegungstherapie, welche schon vor Symptombeginn mit dem Start der Krebstherapie empfohlen wird. Diese multimodale Therapie kann die Lebensqualität für den Zeitraum der Erkrankung verbessern.